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Interview: Felicitas Brucker inszeniert "Ödipus" am Theater Freiburg

TICKET-INTERVIEW: Felicitas Brucker inszeniert "Ödipus" am Freiburger Theater.

Ödipus ist eine Figur, die zum Mythos wurde: Er hat seinen Vater getötet und seine Mutter geheiratet. Felicitas Brucker, die als freie Regisseurin in Paris lebt, inszeniert die Tragödie für das Freiburger Theater. Gina Kutkat hat sich mit ihr über die Bedeutung des Stücks für die heutige Zeit unterhalten.

Ticket: Frau Brucker, Sie inszenieren mit "Ödipus" bereits ihr sechstes Stück in Freiburg. Welche Erinnerungen haben Sie?
Brucker: Ich habe seit der ersten Spielzeit von Barbara Mundel regelmäßig und gerne hier gearbeitet. Zeit und Arbeit in Freiburg finde ich spannend und bereichernd – es ist eine sehr offene, politische und theaterfreundliche Stadt.
Ticket: Welche Projekte haben Sie hier schon verfolgt?
Brucker: Ich habe viele Klassiker bearbeitet, den "Prinz von Homburg", die "Jungfrau von Orléans" und die "Orestie". 2008 "Frühlingserwachen" und Goethes "Wahlverwandschaften". Ein Tanzprojekt war auch dabei.
Ticket: Sie scheinen eine Vorliebe für griechische Mythologie zu haben...
Brucker: Das hat viel mit meiner Arbeit zu tun. Wenn man mehrere Stücke aus der Antike gemacht hat, sieht man immer mehr Zusammenhänge zwischen den Figuren – es ist ein Dominoeffekt. Ein spannendes Feld.
Ticket: Nun bearbeiten Sie die schicksalhafte Ödipus-Geschichte.
Brucker: Die Deutung als Schicksalsdrama – dass Ödipus jemand ist, der sich in den Dienst der Gesellschaft stellt und als Leidensfigur alles abkriegt – ist mir fern. Dass jemand Gerechtigkeitsfanatiker ist und das Ganze entdecken will, aber in seiner Rage nicht klarsieht, finde ich interessanter. Ödipus ist sehr klug, erkennt die Dinge aber nicht. Die Tragödie der Erkenntnis ist eigentlich eine Tragödie des Nicht-Erkennens, des Nicht-Sehens.
Ticket: Das Ganze ist mehr als 2000 Jahre her. Lässt sich die Geschichte ins Heute übertragen?
Brucker: Absolut! Es gibt mehrere Punkte, weswegen ich das Stück heute extrem relevant finde. Das Eine ist der Zeitgeist des Zorns, der in allen Ecken präsent ist. Es gibt für mich eine lauernde Aggressivität, eine Irritation der Wertvorstellungen und eine Haltung von Zorn in vielen Ländern: in Europa, in den nicht-europäischen Ländern, in den Ländern, in denen Krieg ist, und in denen, wo er noch nicht ist.
Ticket: Hat auch das Flüchtlingsthema Ihr Stück beeinflusst?
Brucker: Es hat verschiedene Deutungen durchlaufen, weil das, was in der Welt passiert, die Sichtweise beeinflusst. Auch die Flüchtlingsthematik.
Ticket: Wie spiegelt sich das in Ihrem Stück wider?
Brucker: Am Ende landet Ödipus in der Verbannung, in der Fremde. Er sucht einen Ort, wo er angenommen wird, bleibt sich aber bis zum Ende fremd. Ödipus ist eine Figur des Zorns, jemand, der falsche Schlüsse zieht und Fehler macht. Für mich ist diese Fremdheit Thema, ich würde aber nichts an den Haaren herbeiziehen und vordergründig aktualisieren wollen.
Ticket: Sie arbeiten mit Ödipus-Bearbeitungen von Sophokles, Euripides und Aischylos. Wer hat die Texte zusammengespannt?
Brucker: Die Dramaturgin Viola Hasselberg und ich. Die Fassung besteht aus verschiedenen Stücken. Dabei sind "König Ödipus" von Sophokles, die "Phönizierinnen" von Euripides, Teile aus "Sieben gegen Theben" und Texte aus "Ödipus auf Kolonos". Wir versuchen einen Bogen über drei Generationen zu spannen.
Ticket: In welcher Zeit ist das Stück angesiedelt?
Brucker: Heute. Die Übersetzungen sind zeitgenössisch. Die Sprache ist modern, orientiert sich aber an den griechischen Sätzen. Ich versuche vor allem, mit den Schauspielern Figuren zu entwickelt, die für uns jetzt greifbar sind, mit Konflikten von heute.
Ticket: Über Ödipus wurde schon viel geschrieben. Hat das die Inszenierung erschwert?
Brucker: Total. Ich glaube, dass fast jeder, der in das Stück geht, schon viele Bilder und Deutungen im Kopf hat. Das Tolle an dem Stück ist, dass es in der Literatur als eine der ersten Kriminalgeschichten gilt. Ein Thriller, in dem alle wissen, wer der Täter ist – außer ihm selbst.

Termine: Freiburg, "Ödipus", Theater, Großes Haus, Premiere: Sa, 3. Okt., 19 Uhr; weitere Aufführungen: 8., 10., 15., 17., 23., 25., 31. Okt., 29. Nov., 5. Dez. sowie 20. Jan., jeweils 19 Uhr; Info:
BZ-Kartenservice Tel. 0761/4968888
von kut
am Mi, 30. September 2015

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